Der Nachlass Eugen Finks

Finks wissenschaftlicher Nachlass umfasst vor allem Vorlesungstyposkripte und Typoskripte von Vorträgen und Aufsätzen, handschriftliche Dispositionen zu Seminaren und maschinenschriftliche Seminarprotokolle sowie Aufzeichnungen zu diversen Anlässen. Fink formulierte sämtliche seiner im Zeitraum vom Sommersemester 1946 bis zum Wintersemester 1968/1969 an der Universität Freiburg gehaltenen Vorlesungen aus und tippte den für jede Vorlesungsstunde erforderlichen Text in die Maschine. Diese Typoskripte von insgesamt 28 Vorlesungen, deren Umfang jeweils zwischen 77 und 209 Seiten im A 4-Format beträgt, waren schon zu Finks Lebzeiten die Grundlage für nahezu alle seine Buchpublikationen.

Einen weiteren Bestandteil des Nachlasses bilden Aufsätze und Vorträge (so hatte Fink in den sechziger Jahren eine Reihe von zumeist nicht im Druck erschienenen Rundfunkvorträgen für den Südwestfunk verfasst) sowie Hefte, in denen Fink für jedes seiner Seminare im vorhinein die Grundthemen der einzelnen Stunden zumeist stichwortartig konzipierte. Diese ‚Dispositionshefte' werden durch Seminarprotokolle ergänzt, die in Finks Auftrag Assistenten von ihm wie Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Egon Schütz oder Hans Ebeling von einzelnen Seminaren anfertigten - von den insgesamt 77 an den Universitäten Freiburg und Basel gehaltenen Seminaren sind 40 protokolliert; Fink selbst autorisierte die Protokolle und fügte sie in seinen wissenschaftlichen Nachlass ein.

Sodann gehört hierzu die Gruppe der ‚Aufzeichnungen', die in erster Linie Gedankennotizen und Entwürfe umfasst. Ein großer Teil von ihnen stammt aus Finks Assistentenzeit bei Husserl. Diese von Ronald Bruzina erschlossenen Texte bilden eine einzigartige Dokumentation: Sie belegen nicht nur die frühe Eigenständigkeit von Finks eigenem philosophischen Standort, sondern spiegeln aus nächster Nähe die Entwicklung von Husserls Spätphilosophie wider (hier sind vor allem Finks Mitarbeit an der deutschsprachigen Ausgabe von Husserls Cartesianischen Meditationen, am Zeitbuch [Ausarbeitung von Husserls "Bernauer Manuskripten"] und an der Problematik von Husserls Spätschrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie hervorzuheben), und, da Fink auch zu Heidegger enge Kontakte unterhielt, zudem dessen Bemühungen um eine Umbildung der Husserlschen Phänomenologie. In den Aufzeichnungen zeigt Fink im Gegensatz zu den damals von ihm publizierten Schriften in radikaler Offenheit die Grenzen der philosophischen Konzepte von Husserl und Heidegger auf (so z. B. im Rahmen einer von ihm geplanten "Differenzschrift", die die Positionen von Husserl und Heidegger kritisch ausloten wollte) und profilierte damit, was insbesondere die Entwicklung eines "meontischen Denkens" betraf, schon sehr früh eine gegenüber Husserl und Heidegger eigenständige Position.

Sofern Fink auch andere Vertreter der Freiburger Phänomenologie jener Zeit wie Fritz Kaufmann und Oskar Becker in die sachliche Auseinandersetzung mit einbezog, dokumentieren die Aufzeichnungen - in der Zeit kurz vor und während des beginnenden Nationalsozialismus und unmittelbar vor dem Exodus vieler deutscher und österreichischer Phänomenologen in die Vereinigten Staaten - die letzte Phase der Freiburger Phänomenologie nahezu in dem gesamten Umfang ihrer verschlungenen Problemhorizonte. Finks Aufzeichnungen sind damit nicht nur philosophie- sowie zeitgeschichtlich von einzigartigem Rang, sondern eröffnen sowohl für die Husserl- wie für die Heidegger-Forschung, vor allem aber für die Erforschung der Ursprünge von Finks eigener philosophischer Position neue Perspektiven. - Von den späteren Aufzeichnungen sind insbesondere die Aphorismensammlung eines Kriegstagebuchs, die Eremitie" sowie umfangreiche Notizen zu einem geplanten Buch über Rilke hervorzuheben.